Chinareise 2004 - [Das Tagebuch]

22.04. Luoyang

Beim Aufstehen sahen wir zwar erstmals Luoyang am Tage, aber da eine dicke Dunstglocke über der Stadt lag, war nicht sehr viel zu sehen. Bei guter Sicht müßte der Ausblick aus der 23. Etage des Peony Plaza Hotels traumhaft sein. Vor dem Hotel ist der Peony Place, der größte Platz der Stadt (Ist der Tianmen Square wirklich der größte Platz der Welt? Vielleicht sollte man das doch mal nachmessen!), wo viele Chinesen ihre Morgengymnastik durchführten. Der Ausblick aus dem Frühstücks-Restaurant in der 25. Etage könnte nicht schöner sein (wenn der Dunst nicht wäre).

3 Minuten Busfahrt vom Hotel entfernt das Ziel unserer Reise, der Wang Cheng Park, die vielleicht berühmteste Pfingstrosen-Sammlung Chinas. Hier wurde 1955 mit dem Sammeln der Mudan begonnen. Ich war etwas erstaunt, daß der Park erst so neuen Datums ist. Ich dachte, hier wäre die Tradition vielle Jahrhunderte alt. Aber vielleicht eben nicht in öffentlich zugänglichen Parks. Ob das daran liegt, daß die Pflanzen vorher dem Kaiser vorbehalten waren, oder nur in Palästen und Klöstern kultiviert wurden, oder ob die Kriege und Revolutionswirren daran schuld sind? Jedenfalls führte der nach Gründung der unabhängigen Volksrepublik erwachte Nationalstolz in den 1950ern zum Start der Sammlung und ab den 1960ern, nur unterbrochen durch die Kulturrevolution, wo sicher wieder viel gerade neu erworbenes Pflanzenmaterial erneut verloren ging, wurden viele neue Sorten gezüchtet. Zu den am Anfang nur 20 Sorten kamen allein aus dem Wang Cheng Park in Luoyang über 100 Sorten hinzu, wie uns der Direktor Herr MA Zhengheng erklärte. Mittlerweile haben sie über 700 Sorten, nicht nur chinesische. Ganze Sektionen des Gartens sind auch mit japanischen Sorten bepflanzt, und unter den Japanern sind auch die gelben Sorten, die ich nach Blütenform und –stellung als die wohlbekannten Sorten Lemoine's 'Alice Harding' und 'Mine d'Or' identifiziere. Die Mär von den chinesischen gelben Lutea-Hybriden dürfte damit also enträtselt sein. Zusammen mit den „normalen“ Japanern haben sie auch die in Japan umbenannten gelben französischen Lutea-Hybriden importiert, die dann wohl auch in China wieder mit neuen wohlklingenden Namen versehen wurden. Welche? Finden wir wohl bestimmt irgendwann heraus.

Pech, daß die Saison dieses Jahr so früh war, und daß nur noch etwa 1% der Pflanzen blühte. Aber wenigstens lenkten die Blüten nicht so sehr von den Unterschieden im Laub ab (Ist das ein guter Trost?)!

Dr. Zhou (Prof. Hong De-yuan's Assistent) versuchte heute, zum mittlerweile dritten mal, aus mir meine Meinung zur Nomenklatur seines Professors herauszukitzeln. Bei den ersten beiden Gelegenheiten habe ich mich um eine Antwort gedrückt, weil James Waddick mir erklärt hatte, daß es nicht üblich ist, und auch nicht akzeptiert wird, daß man die Meinung einer Autorität in Frage stellt. Ja, daß es quasi ein Sakrileg ist, eine andere Meinung zu vertreten. Die größte Kontroverse in der Nomenklatur der Strauchpfingstrosen besteht derzeit bezüglich des Status von Paeonia suffruticosa ssp. suffruticosa. 1990 hatte Hong Tao Paeonia suffruticosa als hybriden Komplex aus verschiedenen Wildarten neu definiert und als Elternarten der modernen Kultivare die von ihm beschriebenen Arten Paeonia ostii, P. rockii und P. jishanensis vermutet. Mittlerweile wurde P. jishanensis mal als P. spontanea bezeichnet, was aber von einem englischen Botaniker nicht anerkannt wurde und von ihm rückgängig gemacht wurde. In China heißt sie weiter P. jishanensis. An deren Wildstandort waren wir ja gestern. Die hybride Herkunft der Kultivare ist weitgehend akzeptiert, außer bei Prof. Hong De-yuan, der vor wenigen Jahren eine Wildart unter Verwendung des alten Namens Suffruticosa mit Bezugnahme auf eine Zeichnung aus dem Jahre 1805, die zwar eine gefüllt blühende Pflanze zeigt (nach heutiger Auffassung demnach eine Hybride), aber von ihm anhand des Laubes einer heute noch existierenden Pflanze zugeordnet wurde. Der eigentlich Streitpunkt nun ist, daß Hong De-yuan diese eine einzelne Pflanze, die an einem schwer zugänglichen Fles seit Jahrhunderten wächst, genommen hat, um sie als Typ für die von ihm benannte Subspezies yinpingmudan zu verwenden, die er nun als wahrscheinlich einzig wilden Vorläufer aller Kultivare postuliert. (Natürlich nicht diese eine Pflanze, sondern ihre Geschwister und wilden Verwandten vor Hunderten Jahren - die Pflanze auf dem Fels an der Steilwand ist halt nur die einzige, die noch übrig geblieben ist.) Hong hatte bei seinem Vortrag mehrfach auf die Similaritäten in der Blattstruktur zwischen der der Pflanze am Fels und der auf der Zeichnung von 1805 hingewiesen und versucht, uns von der Richtigkeit seiner Hypothese zu überzeugen. Offensichtlich sahen unsere Gesichter aber nicht überzeugt genug aus. Jedenfalls hat sein Assistent bei mir 3x nachgebohrt.

Mit gebührendem Respekt habe ich schließlich doch meine abweichende Meinung kund getan. Wenn Prof. Hong de-yuan seine Pflanze auf dem Fels schon als Mutterpflanze der modernen Kultivare ansieht, warum dann als einzige? Warum sollte er nicht Paeonia suffruticosa ssp. yinpingmudan zur eigenständigen Art neben P. rockii, P. ostii und P. jishanensis im gleichen Status erheben (sprich: als Paeonia yinpingmudan) und zu den 3 bisherigen Eltern, die weitestgehend anerkannt sind, noch eine weitere hinzufügen. Sowohl die Blattstruktur als auch die von Hong Deyuan bei seinem Vortrag gezeigten DNA-Analysen untermauern doch diese Hypothese. Dann wären doch alle zufrieden! Dr. Zhou war es mit meinen Ausführungen jedenfalls. Vielleicht kann er seinem Professor diese goldene Brücke bauen. Wir werden sehen, ob er anbeißt. Erst nach der Reise schickte mir James Waddick die Webadresse eines Artikels von Prof. Shen Bao An aus dem Jahre 2001, wo er genau diese Veränderung vorgenommen hat. Siehe Shen Bao An: The study on classification, identification and revision for the medicinal plants of Sect. Moutan in Paeonia from china , Lishizhen Medicine and Materia Medica Research 2001 Vol.12 No.4   P.330-333. Ich denke, Dr. Zhou kannte diesen Artikel schon, hat mir aber nichts davon erzählt. Ich beginne aber zu ahnen, was für ein akademischer Streit innerhalb Chinas geführt wird. Dr. Zhou kommt von der Uni in Chongqing, wo sein Professor mit Sicherheit auch eine von den Pekingern abweichende Meinung hat, wobei in Peking ja auch offensichtlich verschiedene Meinungen anzutreffen sind, an der Beijing Forestry University (folgend dem inzwischen emeritierten Prof. Hong Tao) und an der Akademie der Wissenschaften (folgend dem eigentlich auch schon emeritierten Prof. Hong Deyuan). Und der oben zitierte Shen Bao An lehrt in der Anhui Province.

Mitten in der Führung tauchten plötzlich Leute mit Fernsehkamera und Mikrofon auf, die mit uns Interviews machen wollten. Sie waren aus der Wirtschaftredaktion des lokalen Senders. James Waddick, Paige Woodward, Marina Kasimova, Elisabeth Rundle und ich mußten ran. Aus jedem Land einer. Leider brachte der Dreh dann unseren Zeitplan etwas durcheinander, sodaß beim anschließenden Gespräch mit dem Personal des Gartens (verschiedene Gartenbauingenieure, Verantwortliche für Zucht, Pflege, Vermehrung usw.) die Zeit recht knapp wurde, weil wir zum Zug mußten, der 12:14 Uhr nach Xian abfuhr.

Zum Bahnhof war es nicht weit, wir warteten kurz im „Soft Chair Waiting Room“, einer Art 1. Klasse Wartehalle. Die Kofferträger brachten das Gepäck inzwischen auf den Bahnsteig, und schließlich saßen wir alle im Zug zur nächsten Millionenstadt, wo wir die nächsten 2 Nächte schlafen werden. Diesmal zum Glück keine beengten Schlafwagen, sondern ein geräumiger offener 1.Klasse Wagen ohne Abteile, wo wir uns die ganze Zeit entspannt unterhalten konnten. Im Bus ging das immer nur begrenzt wegen der Enge und der Schaukelei, und beim Essen gibt es so viel spaßiges und interessantes über die angelieferten Speisen zu reden, da geht's auch selten. 6 Stunden Zugfahrt klingt zwar lang, aber die Gespräche waren sehr anregend und die vorbeifliegende Landschaft im Sonnenschein bannte durch ihre Reize die Blicke auf sich. Viele Berge, viele Hänge mit terassierten Felden, aber auch viel Schwerindustrie. Wir tauschten Erfahrungen aus über japanische Exportfirmen. Am Interessantesten aber wieder mal Lee Gratwick, die eine Liste der in Linwood Gardens kultivierten Sorten verteilte. Dabei jede Menge Sorten, nach denen sich Sammler die Finger lecken würden. Es wäre schön, von dieser oder jener Sorte einen Edelreis zu bekommen. Speziell die Sorten ihres Vaters, William Gratwick, sind z.T. sehr gesucht...

Da im Zug genug Zeit war, hatte ich sogar Gelegenheit, mal einen Blick auf das Programm „nach den Pfingstrosen“ zu werfen. Ich bin eigentlich schon jetzt voll von Eindrücken, aber was jetzt alles noch kommt, klingt ungemein interessant. Subtropische Bergwelten, Karstfelsen und zum Schluß Shanghai. Aber bis dahin müssen noch viele Berge bestiegen und Flugzeuge benutzt werden. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen.

Ankunft in Xi'an spät am Abend, zuerst Abendessen in einem berühmten „Dumpling“-Restaurant. Dumplings sind gefüllte Teigtaschen, wie russische Pelmeni. Dieses Mal habe ich die Zahl der Gänge gezählt, es waren 26, dabei 15 verschiedene Gänge mit Teigtaschen!

Wang Cheng Park, Luoyang, Führung durch Dirketor Moo

Hu Hong

Schöner Lampion-Hain und Verschattung für die Sträucher, damit die Blüte länger hält. Die Päonien-Fee, leider sind auch die Attribute der 'Moderne' schon da.

Alice Harding?+ Mine d'Or? oder High Noon? Die Pflanzen der Lutea-Hybriden wurden aus Japan importiert

Große Rockii-Hybriden

Im Zug nach Xi'an

Schön beleuchtetes altes Tor im Zentrum von Xi'an am Abend



Gesprächsrunde mit Herrn Moo

Einführung zur Geschichte des Wang Cheng Parks: 4 Zonen: Päonien-Zone, Zone der Western Zhon Dynastie (über 1000 Jahre alt), Entertainment Zone, ...

seit 1955m 48 ha, über 700 Päonien-Sorten, 38.000 Pflanzen. 3 Kultivargruppen, 40 aus Japan, Zi Ban Mudan.

Päonien-Festival seit 1983, nach der Öffnung Chinas, weil die lokale Regierung die Bedeutung der Mudan erkannte. Bis dahin gab es in China nirgends ähnlich Festivals und es war ein großer Erfolg. 200.000 Besucher an einem Tag. Seitdem 22x durchgeführt. Jedes Jahr eine große Anziehungskraft auf die Besucher. Wird von 10. bis 25. April durchgeführt. Mittlerweile auch viele interantionale Besucher. Zu Beginn kamen die Pflanzen von den „normalen Bauern“. 1955 gab es nur 20 Kultivare.Diese sind jetzt um die Päonien-Göttin herum aufgepflanzt.

Kultur-Techniken: Am besten geht das Veredeln während der Nationalen Ferien (Woche nach 1. Oktober).

Züchtungen: 2 Perioden: 1) 1950er Jahre 2) 1980er-1990er, ca. 100 Kultivare gezüchtet.

a) kontrollierte Pollinisation, 2) Pollen von verschiedenen Sorten gemischt und auf ein Elternteil aufbestäubt - a) ist besser

c) Bestrahlungsmethoden haben nicht gut funktioniert (Samen wurden bestrahlt)

Krankheiten: 1) Black spot auf den Blättern ist am wichtigsten

1999 wurden 5800 Pflanzen von japanischen Sorten importiert (aus Daikon-shima), 107 verschiedene Sorten. Japaner blühen später, sind hier schöner als in Japan. Verschiedene Sektionen der Sammlung (siehe Foto von Tafel), darunter auch Japaner, Rockiis,

Bild Nr.26 Blattstudien Yingpingmudan/ Ostii/ jishanensis-Abkömmlinge. - Müssen von Dr. Zhou noch mal nachbestimmt werden


Paeonia suffruticosa ssp. yingpingmudan - Abkömmling

Paeonia ostii- Abkömmling


Paeonia jishanensis- Abkömmling

Paeonia rockii - Hybr.


[23.04.2004]