[Radde, Grundzüge der Pflanzenverbreitung in den Kaukasusländern] Kapitel 1 Abs. I.


Schilderung der Vegetationsformationen und der gesamten Vegetation nach ihren Hauptabteilungen.


Erstes Kapitel. Die Steppen der Kaukasusländer.


1. Überblick über das Steppengebiet in der Umgebung des Kaukasus

Je umfangreicher ein Gebiet ist, je vielseitiger und großartiger auf ihm die Terrainbildung und ihr geologischer Aufbau sich gestaltete und je schärfer die klimatischen Gegensätze in demselben zum Ausdrucke kommen, um so verschiedenartiger wird sich auch auf ihm die Flora herausbilden. Dies ist in den weiten Gauen der Kaukasusländer der Fall.

Wir rechnen zu denselben bei nachfolgenden Schilderungen nicht nur den Isthmus im engeren Sinne des Wortes, sondern erweitern sie von N. nach S. mit der unteren Wolga und Manytschhöhe beginnend bis zur Scheitelfläche Hocharmeniens und auf das iranische Hochplateau bis zum 4166 m hohen Savalan. In dieser Richtung liegt unser Gebiet also zwischen den Breitengraden von 46 bis 38. In westöstlicher Ausdehnung bezeichnen die Enden der Erhebungsachse des Großen Kaukasus, am Schwarzen Meere vom Cap Arapa oder von Taman, bis zur Spitze Apscherons am Kaspi seine Grenzen, also den Raum zwischen den Meridianen von 54,3° bis 68° östl. von Ferro.

Gelegentlich sollen etliche Seitenblicke außerhalb dieses Gebietes, dort nach Taurien, hier in die Wüsten Transkaspiens gemacht, und auch das südliche Ufer des Binnenmeeres: Massenderan, Gilan und Talysch in Erwägung gezogen werden. Östlich und westlich sind die Grenzen dieser großen Länderflächen durch die Ufer des Kaspi, durch das Asowsche und Schwarze Meer auch für die Vegetation scharfe und natürliche. Aber gegen Norden setzen sich jenseits vom Manytsch und Don die Steppen unabsehbar fort. Gegen Süden ist eine natürliche Abgrenzung durch den fortlaufenden, breiten Scheiderücken auf der Scheitelfläche Hocharmeniens gezogen, welcher die Ponto-Kaspischen Wässer von denen des persischen Golfes trennt. Das Gesamtareal, soweit [p. 24:] es in der genannten Abgrenzung zu Russland gehört, deckt 472666 qkm. [1) M. Smirnow, Enumeration des especes de plantes vasculaires du Caucase. Moscou, 1887. Bull. de la S. d. N. d. M. 1887. No. 4. Der frühzeitige Tod des Verfassers hat diese breit angelegte Arbeit schon am Schlusse der Familie der Ranunculaceen unterbrochen.] Davon kommen auf die Nordseite des Kaukasus 253926 qkm; auf Transkaukasien mit Einschluss der neu erworbenen Gebiete von Kars und Batum 218740 qkm.

Allgemeine Orientierung.

Vom Flugsande des westlichen Kaspistrandes, 26 m (86r.F.) unter dem Spiegel des Oceans, der landeinwärts wandernd langsam, aber unfehlbar die Flachsteppe im Süden der Kuma erobert, müssen wir nach und nach bis zur Gipfelhöhe des vereisten Elbrus-Vulkans 5640 m (18500 r. F.) ansteigen, um den höchsten Punkt auf dem Scheider Europas und Asiens zu erreichen. Hier stehen wir in 3650 m (12000 r. F.) Meereshöhe. [2)Die Angaben des Herrn Verfassers sind in russischen Fuß gemacht und aus Gründen der Einheitlichkeit und leichteren Verständlichkeit in Meter mit geringen Abrundungen umgerechnet. (Anmerk, d. Red.)] an der Schneelinie und dem äußersten phanerogamen Pflanzenwuchse. Oder es führt uns der Weg südlicher von dem jetzigen Ostrande der ariden Mugansteppe, wiederum 26 m (86 r. F.) unter das Niveau des Oceans, immer in westlicher Richtung, endlich zur engen Schlucht des Araxes und darüber hinaus, wo in seiner mittleren Thalstufe die hohe südliche Horizontlinie durch die regelmäßigen Zwillingskegel beider Ararate scharf gezeichnet wird, und wir es auf dem Noahberge wieder mit der Höhe von 5150 m (16900 r. F.) zu thun haben. Auch hier befinden wir uns auf dem Firn der Gletscherkuppel.

Aber im weiteren Verfolge gegen Westen, wo wir mitten in vulkanischen Bildungen noch einmal das eingebettete salzige Tertiär bei Kulp mit seiner dürftigen Flora durchwandern, ersteigen wir bald das armenische Hochland und nähen uns seiner gewaltigen Scheitelfläche, welche im 3400 m (11 000 r.F.) hohen Bingöl-dagh [3) In drei Höhenpunkten gipfelt der Kraterrand des Bingöl-dagh, von West nach Ost sind es: Bingöl-Kala (3179 m, 10430 r. F.) (Trigonot, 1877—1879), Kara-Kala (3597 m, II 800 r. F.) und Demir-Kala (3683 m, 12087 r. F.) R. baromt. Wir können das abgerundete Mittel mit 11 000 r. F. verwerten, besser rund 3400 m.] die Wasserscheide dem Euphrat nach Süden, dem Tschoroch nach Norden, dem Araxes-Kura-System nach Osten bildet. Das ist im geologischen und botanischen Sinne eine eigenartige Welt, die sich im Anschlusse an das vulkanische Goktschai-Plateau und an die östlich daran stoßenden Hochebenen von Karabagh durch fast vollständige Abwesenheit von Wäldern, durch hochiranische Pflanzenarten und ein Heer xerophiler rupestrer Formen auszeichnet, obwohl ihr manche Spezies der Tiefsteppen des Pontus ebenfalls zukommen.

Auf jenem zuerst angedeuteten Wege finden wir im Norden des Kaukasus bis zum Fuße des Hauptgebirges alle Varianten der Steppenbildungen: Sand-, Stein-, salzige, lehmige, schwarzerdige Ebenen. Dann bergan wandernd vom Tertiär in die Kreide und den Jura, zum Urschiefer (östlicher Teil) oder zu [p. 25:] den beiden mächtigsten vulkanischen Zentren, Kasbek, Elbrus und den dazwischen liegenden suanischen und ossischen Hochalpen (Zentralteil), zuerst durch das bewaldete Mittelgebirge zur Baumgrenze über die Rhododendronzone fort in die basalalpinen und hochalpinen Regionen und zur Schneelinie. Oder wir bewegen uns endlich noch weiter westlich im Quaternär und jungem Tertiär bei fallenden Kammhöhen durch Eichen- und Buchenwälder zu bequemen Passhöhen in Florengebieten, deren Verwandtschaft mit der taurischen Pflanzenwelt offen zu Tage tritt.

In dem Gesagten ist keineswegs, wenn auch nur andeutungsweise in derben Linien das Thema über die Vegetation der Kaukasusländer erschöpft. Das gesamte colchische Bassin (Rion-Phasis) mit Einschluss der sich nordwärts daran schließenden abchasischen Gebiete bis über Sotschi hinaus im ehemaligen Tscherkessenlande und südwärts ein Teil des pontischen Ufers, fügen sich nicht in eine der erwähnten Kategorien. Ebensowenig ist das der Fall mit der Vegetation der steilen Nordabfälle des iranischen Randgebirges (Alburs), dessen nordwestliche Ausläufer das russische Talysch umfassen. Was hier wie dort im Riongebiete bei einem Überflusse an Niederschlägen und in den Tiefländern bei den günstigsten Temperaturen sich im Pflanzenreiche freiwillig und durch Kultur entwickelte, hebt sich von allem anderen im Kaukasus so eigenartig und vorteilhaft ab, dass es gesondert betrachtet und geschildert sein will. Die Ursachen dafür haben wir in erster Reihe in den orographischen Verhältnissen auf den Grenzlinien dieser Gebiete zu suchen. Von ihnen hing das Quantum der Niederschläge ab. Bei ihrer eminenten Höhenentwicklung bilden sie die natürlichen Condensatoren für dieselben und sichern in der Hauptkette des Kaukasus durch starke Vergletscherungen und Firnmeere die beständigen Reservoirs zur Ernährung der betreffenden Gewässer.

Ich habe mich früher schon bemüht, ebensowohl in meinen vier Vorträgen über den Kaukasus [1.) A. Petermann. Geographische Mitteilungen, Ergänzungsheft No. 36. Justus Perthes. Gotha, 1874.] 1874, als auch in der Ornis caucasica [2.) Ornis caucasica. Kassel, Theodor Fischer 1884, pag. 493—520.] 1884 ein anschauliches Bild vom Relief der Kaukasusländer zu entwerfen. Seit jener Zeit erweiterten sich noch meine Anschauungen und so will ich denn hier aufs neue versuchen, entsprechend den Zwecken dieser Abhandlung, dem Leser eine solche Schilderung in möglichster Kürze zu geben. Es handelt sich zunächst um das Steppengebiet. Erst nach Abschluss desselben gehe ich an die orographische und klimatologische Skizze des Hauptgebirges und der transkaukasischen Gaue.



I. Überblick über die orographischen Verhältnisse des Steppengebietes.

Versetzen wir uns im Geiste an der Nordseite des Großen Kaukasus auf eine Höhe von etwa 1800—2100 m (6—7000 r. F.), welche freie Aussicht gegen Norden gestattet. Es ist gleichgültig, ob wir mehr westlich zu Füßen des Elbrus auf einer Hochterrasse der Kabarda Platz nehmen, oder im Zentrum [p. 26:] des Gebirges, etwa auf dem „Tischberge“ angesichts von Wladikawkas uns befinden, oder endlich östlicher auf der Höhe des Chanakoi-tau im Daghestan. Immer wird uns, auch bei klarstem Wetter, der äußerste Horizont gegen Norden in unklarer, oft sogar verschwommener Linie gezeichnet erscheinen. Das Sehfeld ist zu weit, die ebene Steppe dem Auge zu unendlich, ihre fernsten Umrisse verschwinden undeutlich am Horizont, bezeichnend ist für

ihn die ungestörte gerade Linie. Denn die Entfernung in der Luftlinie bis zum unteren Don und Manytsch schwankt je nach unserem Standpunkt zwischen 250—350 km, und das gesamte Areal von dort zwischen dem Asowschen und dem Kaspi-Meere, bis zum Nordfuße des Großen Kaukasus, deckt eine Fläche von annähernd 200000 qkm. In ihm schwillt allmählich, von

der niedrigsten Wasserscheide zwischen Kaspi- und Schwarzem Meere auf der Manytschhöhe, 25 m (81 r. F.), ausgehend, bis zum zentralen Kaukasusfuße das Terrain bis reichlich 600 m (2000 r. F.) an. In langgezogenen Wellenformen, die oft WO. gerichtet, fällt es von dieser verbreiterten Scheitelfläche gegen O. und W. in die Tieflande des Kaspi und Asow'schen Meeres allmählich ab. Auf den Höhen von Stawropol erreicht es mit 730 m (2400 r. F.) seine Maximalerhebung. In seinem nördlichsten Teile durchschneidet dieses Gebiet das dürftig genährte Kalauswasser (zum östlichen Manytsch) von N. nach S. und der bedeutendere Jegorlik führt in gleicher Hauptrichtung von hier sein Wasser dem westlichen Manytsch zu.

Erst weiter südlich, da wo sich die Kumaquellen zwischen die befreiten Oberläufe des Kuban und Terek drängen, wird das Steppengebiet plötzlich von der isoliert dastehenden Beschtaugruppe durchbrochen, deren höchster Gipfel bis zu 1310 m (4300 r. F.) heransteigt. Gleich einer vulkanischen Insel taucht der fünfköpfige Beschtaukomplex aus dem Steppenmeer auf. Durchschnittlich hat die Grundfläche der Ebene hier schon im Mittel 500—600 m (1600—2000 r. F.) Meereshöhe erreicht und tritt bei Wladikawkas mit 720 m (2368 r. F.) unmittelbar an den Nordfuß des Gebirges.

Nunmehr überschauen wir diesen Fuß näher. Von einem allmählichen Übergange in die vorlagernde Ebene ist nirgends die Rede. Überall setzt sich das Gebirge scharf von ihr ab. Aber die Senkungen und Böschungen desselben sind gegen das NW.-Ende hin, im Kubangebiete, sanfter und bewaldet. Als fortlaufende Vorkette mit stumpfen Kuppelhöhen, nur durchsetzt von den nach N. ausmündenden Querthälern, ist der Nordfuß des Großen Kaukasus geformt. Gegen Osten, namentlich dem Ende zu, wird diese Fußkette kahler und schroffer, auch zerrissener. Vor der verbreiterten Basis des Daghestan lagern weit vorgeschoben zwischen Sunsha und Terek jene beiden parallel verlaufenden Sandsteinketten, die dem Untertertiär angehören und als die Ränder eines Plateaus von 900 m (3000 r. F.) mittlerer Höhe zu betrachten sind, dessen zentrale Fläche einstürzte.



II. Geologische Unterlage des Steppengebietes.

Die geologische Unterlage des Steppengebietes und ebenfalls die des äußersten Fußes vom Großen Kaukasus entstammt der miocänen Epoche, jener Zeit, in welcher von den [p. 27:] Karpathen anfangend, ostwärts bis jenseits des Aralsees die Wogen des Meeres das gesamte Tiefland bedeckten. Kalke, Mergel und Sandsteine bilden diese Basis. Daran schließen sich im Norden von Stawropol bis zur Halbinsel Taman am Asowschen Meere Bildungen pliocänen Alters (Aralo-kaspisch).

Auf diesen ruhen quaternäre Ablagerungen und Alluvionen. Im westlichen Teile unseres Gebietes lagert oft mächtig dick die fruchtbare Schwarzerde. Auch der größte Teil des Stawropol'schen Gebietes und ungefähr die westliche Hälfte des Tereklandes befinden sich unter gleich günstigen Bedingungen. Ostwärts zum Kaspi gewinnen salzige Thone mit exklusiver Halophytenflora die Oberhand, und nahe dem Meere dehnen sich feste, schwere Dünen oder landeinwärts wandernder Flugsand. Wo das nicht der Fall ist, haben wir es mit ausgedehnten Sümpfen, mit nach und nach versiegenden Flüssen, mit Resten ehemaliger Wasserläufe und Labyrinthen kleiner Seenkomplexe, oder mit dem angeschwemmten Delta des Terek zu thun.



1. Steppen der Kaukasusländer

III. Klima des Steppengebietes