Claudia Vierle : Camillo Schneider - Kapitel 11

11. Camillo Schneider als Erneuerer der Gartenkunst

Standen bisher die biographischen Aspekte im Vordergrund, so soll nun näher auf die Schriften Camillo Schneiders eingegangen werden. Besondere Berücksichtigung verdienen seine Artikel und Bücher zum Thema der Gartengestaltung, deren Thesen im Anschluß dargestellt werden.

Schneiders wachsende Ablehnung gegenüber der Gartengestaltung des ausklingenden Historismus führte dazu, daß er eigene Vorstellungen bezüglich einer zeitgemäßen Garten- und Parkgestaltung entwickelte. Es gelang dem publizistisch begabten Schneider, seine kritischen Gedanken und Ideen in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in mehreren Zeitschriften und auch ausführlich in Buchform zu veröffentlichen. Er blieb den Anschauungen, die er in diesem Jahrzehnt zum Thema Gartengestaltung zu Papier brachte, zeitlebens verhaftet, artikulierte sie jedoch nie wieder in solcher Ausführlichkeit. In diesen Schriften, die eine Erneuerung der Gartenkunst bezweckten, forderte Schneider die rigorose Abkehr von der gründerzeitlichen Gartengestaltung, die sich als Fortführung der Ideen Lennes und Gustav Meyers verstand. Inzwischen hatte sich aus deren Gestaltungstheorien, die in der Tradition des englischen Landschaftsgartens standen, in Deutschland ein starrer Formenkreis entwickelt, der weitestgehend schematisch für jede Anlage, auch für den relativ kleinen Villengarten, verwendet wurde. Die Bestandteile dieses vor allem auf Meyer basierenden sog. „deutschen Gartenstils" waren sanfte Hügel, gekurvte Wasser- und Rasenflächen mit davon scharf abgegrenzten Gehölzgruppen, durchzogen von verschlungenen Brezelwegen und geschmückt mit eingestreuten Teppichbeeten. Die Adaption des ursprünglich für große Anlagen konzipierten Landschaftsstils für den zumeist wesentlich kleineren Villengarten ergab sich aus den Wünschen ihrer bürgerlichen Besitzer. Für den privaten Bereich des Gartens orientierte sich das Bürgertum an feudalen Vorbildern, die man in dem räumlich beschränkten Rahmen noch zu übertreffen suchte. Als Leitgedanken sollten Beschaulichkeit und die „Harmonisierung des Mensch- Natur- Verhältnisses" durch Naturkulissen in Park oder Garten, hier durch Platzbeschränkung oft miniaturisiert, umgesetzt werden. [Anm.#282: Imke Wollweber 1990: Gartenkunst, Vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus. Osnabrück. Der Haus- oder Villengarten bestand zumeist aus einem rückwärtigen landschaftlich gestalteten Bereich und einem repräsentativ angelegten Vorgarten, oft mit Teppichbeet und Skulpturenschmuck. Neben der Verwirklichung der eher ideellen Werte sollte die Anlage den Reichtum des dem B ürgertum zugehörigen Besitzers veranschaulichen. Zum Ausdruck kam auch der Machtanspruch dieser sich neben dem Adel etablierenden und ihm nacheifernden besitzenden Klasse. Diesen Wünschen versuchten die Gartengestalter zu entsprechen, indem sie in ihren Planungen durch „Bodenbewegungen, kulissenartige Gehölzgruppierungen, Teiche in stark gebuchteten Formen und schlangelnde Bäche" (Heinz Wiegand 1975: Geschichte des Stadtgrüns Bd. 2, Hannover. 21) eine größere Anlage vorzutäuschen versuchten. Den Besucher ebenfalls beeindrucken sollte die Anpflanzung möglichst vieler verschiedener Gehölze, oft als Solitäre. Auf die Anlage eines Nutzgartens wurde oft ganz verzichtet, oder er wurde in einem separaten Teil des Gartens untergebracht.]

Gerade diese Miniaturisierung und Schematisierung beanstandete Schneider in seinen Schriften und nahm Ideen der aktuellen Diskussion auf, die vor allem in Architekturkreisen über eine Erneuerung der Gartengestaltung geführt wurde. So erklärte er im Vorwort seines Buches „Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Zeit- und Streitfragen", datiert auf den 1. Mai 1904, daß er mit diesem Werk die Kritik, sowohl der Laien als auch der von ihm kritisierten deutschen Landschaftsgärtner, herausfordern wolle. Er widersprach der noch von der Mehrheit seines Berufsstandes in Deutschland, wie beispielsweise vielen Mitgliedern des Vereins deutscher Gartenkunst, vertretenen Ansicht, daß die Gartenkünstler von der zeitgenössischen Kunst nichts mehr zu erwarten hätten. Begründet wurde dies damit, daß die Gartenkunst den „Triumph der freien Linie über die festgebannte Form" [Anm.#283: K. Krone nach C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 1. Krone war einer der von Schneider kritisierten Landschaftsgärtner alter Schule.] schon längst erreicht habe, also keiner Weiterentwicklung mehr bedürfe und bereits den Stand der Vollkommenheit erreicht habe. Wie andere seiner Generation hielt Schneider dagegen diesen „deutschen Gartenstil" für rückständig und erneuerungsbedürftig.

Bemerkenswert ist, daß Schneider einer der ersten aus dem Lager der Landschaftsgärtner war, der sich vehement gegen die „deutsche Gartenkunst" wandte. Er erkannte in dieser „deutschen Gartenkunst" keinen Stil, der seinen Vorstellungen einer zeitgemäßen landschaftlichen Gestaltung entsprach, sondern bezeichnete ihn als von architektonischen Elementen durchdrungen, obwohl deren Vertreter gegen die architektonische Gestaltung agitierten. Im Gegensatz zur gängigen Unterscheidung von landschaftlichem und architektonischem Stil entwickelte Camillo Schneider seine eigenen Überlegungen:

Gewöhnlich sieht man den Gegensatz zwischen den beiden Stilen darin, daß hier die Kurve, dort die Gerade im Grundriß herrscht. Ich halte das für unrichtig. Auch in der landschaftlichen Anlage kann die gerade Linie herrschen. Wir können die breiten Alleen architektonischer Parks mit ihrer wundervollen Perspektive vorzüglich in ganz landschaftlichen Anlagen verwerten, ohne deren Natürlichkeit' zu stören. Ist doch auch die ,allernatürlichste' Anlage eine Schöpfung von Menschenhand!" [Anm.#284: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 32. ]

Es war damals eine von Landschaftsgärtnern übliche Gestaltungsweise, Gehölzgruppen in landschaftlichen Anlagen an ihren Rändern scharf abzugrenzen und teilweise mit „Blumenborten" zu umsäumen. Die so entstandenen scharfen Kanten, auch wenn sie unregelmäßig geformte Elemente voneinander trennten, waren für Schneider ein Kennzeichen architektonischer Gestaltung. Daher behauptete Schneider, daß der architektonische Stil nicht nur von der Verwendung geometrischer Formen abhänge, sondern, daß auch diese aus scharf abgegrenzten Ellipsoiden und Kurven aufgebaute sog. landschaftliche Parkgestaltung von architektonischen Elementen durchwoben sei, da jede Linie als geometrisches und somit architektonisches Element anzusehen sei. [Anm.#285: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 33 ] Im Landschaftsgarten lehnte Schneider scharfe Abgrenzungen wegen ihrer Unnatürlichkeit rigoros ab, doch sah er es durchaus als möglich an, beide Stile, den landschaftlichen und den architektonischen, über einzelne Elemente, wie z. B. Alleen, zu verbinden.

Schneider vermied es aus diesen Überlegungen heraus, sich einem der herrschenden Lager anzuschließen, die entweder ausschließlich den landschaftlichen oder den architektonischen Stil als einzig wahre Stilrichtung ansahen und die andere Richtung geradezu verteufelten. Statt dessen favorisierte er eine Harmonisierung beider Stilrichtungen. Dabei schränkte Schneider die Verwendung landschaftlicher Gestaltung stark ein.

Camillo Schneider hielt eine neue Zweckbestimmung des Haus- und Villengartens für überfällig. Er forderte eine funktionalen Gesichtspunkten folgende Gartenplanung, was ihn der Theorie des „Neuen Bauens" und der „neuen Sachlichkeit" annähert. Er machte den Ausspruch Louis Sullivans „Die Form ergibt sich aus der Funktion" zu seinem Leitspruch. [Anm.#286: Louis Sullivan (1856-1924) war einer der ersten Erbauer von Wolkenkratzern den USA (G. Pischel. 1983: Große Kunstgeschichte der Welt. München. 641).] Doch läßt sich kein Bezug Schneiders auf das „Bauhaus" finden, dessen Vertreter ihm wohl in der Architektur zu progressiv waren, statt dessen befürwortete er den dem Funktionalismus nahestehenden Sezessionsstil, den er während seiner Zeit in Wien kennen- und schätzenlernte, und dessen Vertreter auch schon klare, weitgehend unverzierte Fassaden verwendeten. [Anm.#287: Damals hatte der Begriff Jugendstil, der heute fast durchwegs auch für den damals geläufigen Ausdruck „Sezession" verwendet wird, einen negativen Beigeschmack. Der Begriff „Jugendstil" wurde auch von Schneider mit „Ungeschmack" gleichgesetzt. Der Jugendstil, respektive die Sezession, leitete die Entwicklung zur Sachlichkeit in der Architektur ein.] Schneider gefielen z.B. die Bauten Josef Hoffmanns, eines österreichischen Architekten aus der Schule Otto Wagners. [Anm.#288: C.Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 110. Von Josef Hoffmann (1870-1955) stammt etwa das Palais Stockt in Brüssel, erbaut 1904 bis 1911:„Em kastenartiger Baukörper mit schmucklosen glatten Wänden" (G. Pischel 1983: Große Kunstgeschichte der Welt. München. 641).]

Die funktionalistische Gestaltung wurde, um ein Gesamtwerk zu schaffen, erstmals von Architekten auch auf die den Baukörper umgebenden Freiflächen angewandt. Daher setzte sich für diese neuen, geometrischen Formen folgenden Gärten der Begriff „Architektengarten" durch. Diese Architekten sowie Kunsthandwerker und -kritiker rügten die in ihren Augen rückständige Gartengestaltung durch Landschaftsgärtner. Wichtige kritische Schriften, auf deren Thesen sich Schneider immer wieder bezog und die er für den Hausgarten übernahm, verfaßten u.a. F. Avenarius, P. Schultze-Naumburg [Anm.#289: Paul Schultze-Naumburg (1869-1949), Professor, Architekt, Gartengestalter (G. Gröning, J. Wolschke-Bulmahn 1997: Grüne Biographien. Berlin/Hannover).], A. Lichtwark [Anm.#290: Alfred Lichtwark (1852-1914), Kunsthistoriker (G. Gröning, J. Wolschke-Bulmahn 1997: Grüne Biographien. Patzer: Berlin/Hannover).] und H. Muthesius [Anm.#291: Hermann Muthesius (1861-1927), Architekt und Gartenarchitekt (G. Gröning, J. Wolschke-Bulmahn 1997: Grüne Biographien. Patzer : Berlin/Hannover).].

Die Ansichten von Muthesius entsprachen in vielen Punkten denen Schneiders, auch ist dessen drastische Schreibweise mit einigen kritischen Passagen Schneiders vergleichbar:

„tm der Maskerade des Hauses paßt die Umgebung, die ihm der Landschaftsgärtner schafft. Während der Hauskünstler mit Architektur- und Stilkenntnissen prahlt, hat der Landschaftsgärtner das Ziel des Natürlichen'. Auf zwanzig Quadratruten Grundflächen imitiert er uns Berg und Tal, Felsengebirge und Wiesengrund. Eine zehn Meter lange, mit Zement ausgekleidete Pfütze ahmt die Verzweigungen des Vierwaldstätter Sees nach. Sinnlose Schlängelwege irren in allen Ecken umher. " [Anm.#292: Hermann Muthesius 1907: Landhaus und Garten. München. 26.]

Wie Muthesius forderte Schneider die Einheit von Haus und Garten. Diese Einheit könne jedoch - so die herrschende Überzeugung, die auch Schneider teilte - nur über die Anlage eines regelmäßigen Gartens erreicht werden und nicht durch landschaftliche Formen. Daher sprach er den um 1900 existierenden, historistischen Villengärten den Begriff Hausgarten ab, da sie „nicht in organischem Zusammenhange mit dem Haus " [Anm.#293: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 88.] stünden. Schneider vertrat die Überzeugung, daß der architektonischen Gliederung des Hauses keineswegs eine landschaftliche im Garten gegenübergestellt werden dürfe, wenn der Garten mit dem Haus den angestrebten „Organismus" bilden solle. Wie bereits die Architekten ging er davon aus, daß sich diese Einheit nur durch eine zeitgemäße architektonische Gestaltung des Gartens erreichen ließe. Nur so könne der Garten auch seiner neuen Funktion als „erweiterter Wohnung' [Anm.#294: Ebd., 30.]" gerecht werden. Schneider betonte jedoch die Unabhängigkeit der Gartengestaltung vom jeweiligen Architekturstil des Gebäudes. [Anm.#295: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 93. ] Die Architekturformen des Hauses brauchten nicht im Grundriß des Gartens wiederholt werden. Dagegen war es Camillo Schneider wichtig, daß „der persönliche Geschmack des Besitzers" [Anm.#296: Ebd., 29.] sowohl in Einzelheiten des Gartens als auch im Haus ersichtlich werde. Das Hauptgebäude solle ,(lie im Garten waltende Persönlichkeit" [Anm.#297: Ebd., 29.] am stärksten zum Ausdruck bringen. Der Gestalter habe sich daher bei der Anlage eines Gartens als einer privaten Anlage strikt den Wünschen der Besitzer unterzuordnen. Schneider forderte jedoch wie Lichtwark, den er in diesem Zusammenhang zitierte [Anm.#298: vgl. Alfred Lichtwark 1904: Der Heidegarten. Kunst und Künstler, 2. Jg., 127ff.], zugleich die Ausbildung eines neuen Geschmacks in Architektur und Gartenkunst bei der Bevölkerung: „. die Erneuerung des Wohnhausbaues hängt unmittelbar von der Umbildung des Geschmackes in der Gartenkunst ab. Solange diese bleibt, wie sie ist, kann man überhaupt keine vernünftigen Häuser bauen. " [Anm.#299: Lichtwark nach Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 4.]"

Daneben müsse aber berücksichtigt werden, daß Haus und Garten eine organische Einheit bilden sollten. [Anm.#300: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 4.] Tonangebend in dem aus Haus und Garten zusammengesetzten Organismus müsse immer das Haus sein, das je nach seiner Lage die Raumgliederung des Gartens bestimme und sozusagen den Brennpunkt der Gesamtanlage, „in dem die richtenden Linien sich sammeln" [Anm.#301: Ebd., 29.] bilde.

Diese Gedanken, wie sie von Schneider und Muthesius geäußert wurden, setzten Architekten als erste in die Praxis um, indem sie zusammen mit dem Neubau von Häusern auch gleich die zugehörigen Gärten gestalteten. Diese sog. „Architektengärten" hielten zunächst Einzug auf Kunst-, später auch auf Gartenbauausstellungen, beispielsweise die Planungen von Olbrich 1905 in Darmstadt. Auf diesen Ausstellungen fanden sie ein breites Publikum, was zu einer baldigen Verbreitung der neuen Ideen führte. Die Gestaltung des neuen architektonischen Gartens knüpfte an die Tradition von Küchen-, Bauern- und Pfarrgärten an. Man übernahm Teile aus diesem traditionellen Formenschatz und untergliederte das Terrain durch Hecken, Pergolen und Geländeunterschiede. Der „Architektengarten" konnte sich in den folgenden Jahren zunehmend gegen den alten Landschaftsstil durchsetzen und ihn schließlich verdrängen. Damit einher ging die Neubezeichnung der Gartenplaner: Aus dem „Landschaftsgärtner" wurde der „Gartenarchitekt" oder „Gartengestalter".

Charakteristisch für den neuen Qualitätsanspruch dieser Gestalter war eine einheitliche Formensprache von Haus und Garten. Dabei gewann der Garten als integraler Bestandteil einer sich neu entfaltender Wohnkultur an Wertschätzung. Der bebaute Raum hatte sich im unbebauten Raum fortzusetzen. Gleichzeitig sollte eine einfach und sachlich gehaltene Gestaltungsweise dem Bedürfnis nach individueller Bestätigung und ästhetischer Originalität der ökonomisch und sozio-kulturell etablierten Bourgeoisie entgegen kommen. " [Anm.#302: Winfried Richard 1984: Vom Naturideal zum Kulturideal. Ideologie und Praxis der Gartenkunst, im deutschen Kaiserreich. Landschafts- und Umweltforschung, Bd. 19, TU Berlin. 226.78 Camillo Schneider]

Die ästhetisierende Betrachtungsweise, den Garten hauptsächlich zur „Verschönerung der Gegend" und „zur Freude der Straßenpassanten" anzulegen, hielt Schneider für überholt. Diese ablehnende Haltung wird in seiner Stellungnahme zu den damals üblichen Preisverleihungen für das schönste Blumenfenster, den hübschesten Hausgarten etc. ersichtlich. Schneider gab zu bedenken, daß den jeweiligen Kommisionen, die sich aus „Fachleuten und sachverständigen Laien" zusammensetzten, nur der Eindruck nach außen zur Straße hin als Bewertungskriterium wichtig sei, nicht der Nutzen für den Besitzer:

„Aber ich hoffe nicht minder fest, daß Abertausende den Herren, die ihre Blumenfenster und Gärten kontrollieren wollen, die Türe vor der Nase zuschlagen werden-nachdem sie zuvor höflich angedeutet, daß sie Haus und Garten für sich selbst erbaut, daß es ihnen herzlich gleichgültig sei, wie diese von außen wirken, so sie selbst nur sich wohl und zufrieden fühlen zwischen ihren vier Wänden, zwischen ihren Nelken und Rosen. " [Anm.#303: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 90.]

Schneider lehnte also jeden Repräsentationsanspruch des Gartens ab. Der Garten sollte nur noch seiner neuen Funktion „als Erweiterung der Wohnung, als Raum zu Nutz und Freud des Besitzers" [Anm.#304: Ebd., 88.] gerecht werden. Um diesem Anspruch entsprechen zu können, ging Schneider soweit, zu fordern,

„auch den Garten gegen die zudringlichen Blicke Fremder abschließen und in ihm schalten und walten, wie es ihm ums Herz ist. (...) wenn er selbst sich nicht Rates weiß, einen Künstler suchen, der seine Wünsche zu erraten und zu verwirklichen versteht. " [Anm.#305: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 89.]

Camillo Schneider betrachtete den Garten als privates Refugium, dessen Intimität er vor den Blicken der Passanten schützen wollte. Zu diesem Zweck wollte er den Garten mit einer hohen Mauer umzäunen, über deren Rand nur noch die Baumspitzen und Rankgewächse ragen würden. Der Nachteil, daß dem Passanten nun der Einblick in den Garten verwehrt bliebe, sah er durch den Vorteil ausgeglichen, daß der Vorübergehende seiner Imagination, was hinter der Mauer liege, freien Lauf lassen könne. Ähnliche Reize entdeckte auch Schultze-Naumburg an solchen Gartenmauern. Bei der Gestaltung der zur Straße hin orientierten Schaugärten erblickte Schneider ein grundsätzliches Manko, das in der Trennung von Passant und Garten durch das stets vorhandene Gitter bestand, und so die ungetrübte Freude des vorbeigehenden Betrachters empfindlich stören würde. [Anm.#306: Ebd., 90.] Insbesondere diese radikalen Ansichten brachten ihm einige Kritik und Polemik von Fachkollegen ein. [Anm.#307: vgl. die ablehnenden Rezensionen zu „Deutsche Gartengestaltung und Kunst" (s. Anhang).]

Ebenso wichtig wie die zweckgemäße geometrische Aufteilung des Gartens, die Haus und Garten zu einer Einheit verschmelzen sollte, war für Schneider die passende Auswahl der Pflanzen, um zu einem künstlerisch gestalteten Hausgarten zu gelangen. Eine sorgfältige Auswahl hielt Schneider für jegliche Pflanzenverwendung in Grünflächen, ausgenommen in botanischen Gärten, für unumgänglich. Als geeignet betrachtete er nur solche Pflanzen, die dem „Charakter des Landes" angepaßt waren. Die von ihm gewählte Bezeichnung „Land" dient ihm hier als Oberbegriff für die das Artenspektrum einschränkenden Faktoren einer Klimazone oder eines Landstrichs.

„Ihn (den Garten, Anm.) mit dem Hause in innigen Zusammenhang zu bringen und gleichzeitig ihn dem Charakter des Landes anzupassen, darin er liegt. Ich sage dem Charakter des ,Landes', nicht der ,Landschaft'. Im Garten, wo landschaftliche Charaktere nicht zur Geltung gebracht werden können, erscheint in der Behandlung und Wahl des lebenden Materials eine viel größere Freiheit erlaubt, als im Park. Doch können wir in Norddeutschland Motive aus dem Garten Italiens und dessen Material im Prinzip ebenso wenig verwerten, wie Pflanzen aus den Tropen. Aber unter den Gewächsen, die in Mitteleuropa und klimatisch analogen Landstücken der übrigen Teile der nördlichen gemäßigten Zone gedeihen, haben wir unbeschränkte Wahlwenn wir sie bezahlen und ihnen gute Existenzbedingungen bieten können. Jedenfalls wäre es ganz verkehrt, engere Grenzen zu ziehen. Da der Garten um so schöner sein wird, je besser dies verwendete Material ist und je mehr es sich den örtlichen Verhältnissen akklimatisiert, so wird der wohlüberlegende Schöpfer bei der Wahl jeder einzelnen Pflanze bedenken, ob sie ,zur vollen Schönheit' gelangen kann. Er wird nach Möglichkeit zu vermeiden suchen, solche Gewächse zu nehmen, die nur während der wärmsten Monate sich frei zeigen lassen, sonst aber des Schutzes in irgend welcher Art bedürfen. Denn die künstlerische Einheit des Gartens wird sofort gestört sowie bestimmte, für den Gesamteindruck wichtige Objekte durch Schutzmittel' den Blicken entzogen werden. Und soll nicht der Garten zu allen Jahreszeiten einen ,Charakter' zu wahren suchen, wie auch die Natur in jedem Monat ,schön' genannt werden darf! Wir wollen es wenigstens anstreben!" [Anm.#308: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 92.]

Schneider vertrat die Ansicht, daß auch bei großer Ausdehnung die einzelnen Glieder einer architektonischen Anlage stets wie ein einheitlicher Gesamtorganismus wirken sollten, der somit die Leitidee des Gestalters weit mehr zur Geltung kommen ließe als eine landschaftlich geprägte Anlage:

„Im architektonischen Stil liegt der Vorzug größerer Klarheit, gehaltvollerer Einheit. Gewiß kann auch hier leicht Wirrheit, Unklarheit eintreten, sofern nicht die durchs Haus bestimmten Hauptachsen die immer fühlbaren Richtlinien des Ganzen bilden. Von welch entscheidender Bedeutung diese sind, lehren uns die besten italienischen und französischen Anlagen" [Anm.#309: Ebd., 30.80 Camillo Schneider ]

Jedoch verfiel Schneider nicht in das Extrem, wie viele seiner innovativ eingestellten Zeitgenossen, nun jegliche Anwendung eines landschaftlich orientierten Stils zu verteufeln. Die Antwort auf die Frage, welche Stilrichtung zu verwenden sei - landschaftlich oder architektonisch - hing für Schneider vom Einfluß der Baustrukturen auf die Anlage ab. Dominierte die Architektur über ein Gelände, so wäre demnach architektonisch, also regelmäßig, zu gestalten. Sobald diese Dominanz nicht vorhanden wäre, was insbesondere für größere Anlagen zutreffen würde, ergab es für Schneider Sinn, in diesem nicht von Architektur beeinflußten Bereich landschaftlich zu gestalten. Daher grenzte er vom architektonischen Garten als zweite Form der privaten Anlage den Privatpark ab, der landschaftlich gestaltet werden solle. Er verstand die Grenzen zwischen architektonischem Garten und Landschaftspark jedoch als fließend. Im Park dürfe sich der Gestalter in seiner Schöpfung von der Architektur des Hauses lösen, müsse jedoch immer den Vorstellungen und Wünschen des privaten Auftraggebers entsprechen. [Anm.#310: Ebd., 5.] Doch favorisierte Schneider in der Umgebung des Hauses eine architektonische Gestaltung, die dann in zunehmender Entfernung vom Haus in eine landschaftliche zu überführen sei. Ähnliche Aspekte finden sich zwar auch bei Lenne, Meyer und Pückler, die in der unmittelbaren Umgebung des Hauses ebenfalls regelmäßig gestalteten. Doch entsprach die reale Umsetzung ihrer Ansichten zur regelmäßigen Gestaltung nicht den Grundsätzen Schneiders. Sie schlössen beispielsweise in ihre Planungen die von Schneider verabscheuten Teppichbeete mit ein und beschränkten sich bei der architektonischen Gestaltung auf einen wesentlich engeren Radius um das Haus. Insgesamt maßen sie der regelmäßigen Gestaltung weit weniger Bedeutung zu, als ihr Schneider zugestand. [Anm.#311: M.L. Gothein 1926: Geschichte der Gartenkunst, Bd. 2, Jena. 430.Camillo Schneider als Erneuerer der Gartenkunst 81 ]

Schneiders landschaftliche Gestaltungsprinzipien folgten in ihren Grundzügen denen Pücklers, den Schneider als Genie der Gartenkunst bewunderte. Schneider setzte sein Modell eines Landschaftsparkes aus Naturszenerien zusammen, die allerdings in der freien Landschaft neben- und miteinander vorkommen mußten. Daher lehnte er beispielsweise eine Felsaufschüttung für alpine Pflanzen in einer ansonsten aus sanften Hügeln bestehenden Grundgestaltung eines typischen englischen Gartens ab. Die Parklandschaft sollte sich in ihrem Erscheinungsbild an ein natürliches Vorbild anlehnen und dieses Vorbild in verfeinerter Form wiedergeben. Eine realistische Gestaltung, wie er sie anstrebte, schloß daher die Projektierung von Landschaftsaspekten aus, die der umgebenden Landschaft, insbesondere dem vorhandenen Relief, fremd waren. Er hielt es für unmöglich, z.B. eine wahrhaftig anmutende Gebirgslandschaft in der Ebene zu schaffen. Jegliche derartigen Unternehmungen könnten seiner Meinung nach nur unbefriedigende, auf Kulissen basierende Anlagen ergeben, da ansonsten die Kosten nur für die Erdbewegungen ins Unermeßliche steigen würden. Einzelne Ausschnitte aus dem Formenkreis der Gebirgslandschaft ließen sich jedoch verwirklichen, obwohl er diese Vorgehensweise im Prinzip ablehnte. So gefiel ihm trotz des fehlenden passenden Umfeldes der über Felsen konzipierte Wasserfall des Viktoriaparks. Diesen Stadtpark in Berlin begrüßte Schneider als Schritt in die richtige Richtung und führte ihn daher oft als gelungenes Beispiel für die Umsetzung einer Naturszenerie in einer öffentlichen Anlage an. Allerdings mißfiel ihm die umgebende noch sehr dem „deutschen Landschaftsstil" verhaftete Parkgestaltung.

Sein Eintreten flir eine an der Naturansicht orientierte Gestaltung, die er mit dem Begriff „naturwahr" bezeichnete, verband ihn mit W. Lange, mit dessen Ideen er z.T. übereinstimmte. Jedoch wollte Lange im Gegensatz zu Schneider auch im gebäudenahen Bereich landschaftlich gestalten. Lange bezeichnete Grünflächen, gleich welcher Ausdehnung, als ,ßeste der Natur", Schneider dagegen sah in jeder Grünanlage die „Neuschöpfung des Künstlers", also etwas Artifizielles. Außerdem konnte Schneider sich Langes ideellem Hintergrund zu seinen gartengestalterischen Ansichten nicht anschließen. Beispielsweise schrieb er in der „Gartenkunst" über Lange:

„Ich betone nur, daß ich dem Künstler Lange auf seinen Wegen nicht folgen kann. Er verlangt (...) in gewisser Weise von diesem Gartenkunstwerk Dinge, die man durch dasselbe gar nicht oder nur andeutungsweise wiedergeben kann und begibt sich auf Gebiete höchst schwieriger Art. Wenn er dann gar (im ,Tag' 6. Dez. 1907) davon spricht, daß der landschaftliche Garten, der Pflanzengemeinschaften in künstlerischer Steigerung im Schleier der Poesie bildet, so recht der Platz sei, christliche Liebe zu betätigen und wenn er sagt: der Gartenkünstler hilft und schlichtet mit Liebe den Kampf, der in der Natur auch unter den Pflanzen wütet, und hat dann ein Paradies voll Gedanken und Tat in einem Garten, was dann Kunst, große erhebende Kunst istwenn Lange so etwas ausführt, so muß ich mich bescheiden und sagen: hier kann ich nicht mit ihm gehen. Das, was ich große erhebende Kunst nenne (...) ist doch recht wesensverschieden von Gartenkunst und ich sehe nicht ein, wie wir gerade durch den Garten die wissenschaftliche Weltanschauung im Einklang mit den höchsten Forderungen der Kunst und Sittlichkeit unserer Zeit und mit dem wiedererwachenden Evangelium der Liebe verkörpern wol-len." [Anm.#312: C. Schneider 1909: Über die landschaftliche Gartengestaltung von heute. Kritische Rück- und Ausblicke. Gartenkunst, 11. Jg., 105.82 Camillo Schneider ]

Durchwegs bewundernd sprach Schneider dagegen von Ernst Graf Silva Tarouca, den er einen „österreichischen Pückler" nannte.

Und es zeigt sich in Pruhonitz von neuem (wie im Muskauer Park, Anm. d. Verf.), daß eben die Technik erst in zweiter Linie kommt und daß angeborene und durch Übung geschulte und gefestigte künstlerische Fähigkeiten das Wesentliche sind. " [Anm.#313: Ebd., 103.]

Durch Schneiders naturalistischen Anspruch verboten sich scharfe Grenzen im Landschaftspark, statt dessen forderte er sanfte, an ihre natürliche Ausprägung angelehnte Übergänge. Beispielsweise sollte die Grenze zwischen geschlossenem Gehölzbestand und offener Fläche über einen aufgelockerten Waldsaum mit Stauden und Sträuchern erfolgen. Auch die aus England übernommenen Rasenflächen lehnte er ab, da das Klima in Deutschland bzw. Mitteleuropa im Gegensatz zum englischen für das Gedeihen eines guten Rasens abträglich sei, und Resultate, die den Namen Rasen verdienen würden, nur mit einem wesentlich größeren Umfang an Pflege und Aufwendungen möglich wären als eine heimische bunte Blumenwiese.

Um Naturszenerien „naturwahr" umsetzen zu können, beschäftigte sich Schneider intensiv mit ihren Vorbildern in der sog. freien Landschaft, d.h. der agrarisch und forstlich geprägten Flur und den darin verbliebenen naturnahen Inseln (laubreiche Waldränder, Gebirgsbäche, etc.). Mit Photographien, in denen er das Wesentliche des Landschaftstyps einfangen wollte, und begleitendem Text legte er seine Erfahrungen z.B. in seinem Buch zur landschaftlichen Gestaltung dar. Die ausführliche Fotodokumentation schätzte er auch bei den Artikeln zur Gartengestaltung von Schultze-Naumburg, der in seinen Bildern Beispiel und Gegenbeispiel gegenüberstellte.

Der Park sollte nach Schneiders Bestreben eine verfeinerte Natur zum Ausdruck bringen und unabhängig vom Alter der Parkanlage jederzeit ein ansprechendes Bild zeigen. Dem Umstand, daß sich ein Park stets in Entwicklung befinde, also nicht wie ein Gebäude statisch sei, müsse der Gartengestalter bei seiner Planung Rechnung tragen:

Wir bauen nicht Häuser, die fix und fertig dastehen, wenn die Bauleiter sie den Besitzern übergeben, und die jahrhundertelang ihre Form wahren können. Wir schaffen Wesen, die sich entwickeln. Wenn wir unsere Parks der Öffentlichkeit übergeben, so sind es Kinder, die eben das Laufen erlernt haben. Unter rechter Leitung sollen sie sich nun auch allmählich entwickeln. " [Anm.#314: C. Schneider 1907: Landschaftliche Gartengestaltung. Leipzig. 152.]

Schneider hielt es für eine unerläßliche Voraussetzung, daß sich der Gartengestalter mit dem Material, das er zu verwenden beabsichtigte, möglichst intensiv vertraut machte. Erst, wenn der Gartengestalter das Hauptgestaltungsmaterial, die Pflanze, genau kenne, könne er zu guten, „naturwahren" Arbeitsergebnissen im Landschaftspark kommen. Unter genauer Pflanzenkenntnis verstand Schneider, daß man sich die „ganze Lebensgeschichte einer Pflanzenart" [Anm.#315: Ebd., 153. ]über Text und Bild erschließen müsse, wobei insbesondere auf eigene Aufzeichnungen, die in der Natur gemacht wurden, Wert gelegt werden solle:

„Bei heimischen Sachen haben wir ein natürliches Vorkommen vor Augen, wir können ihr Gedeihen, ihr Grünen und Blühen an den verschiedenen Orten, die ihr behagen, beobachten. Dabei lernen wir erkennen, welcher Standort, welche Lebensbedingungen ihr am meisten zusagen, zu welchen anderen Gehölzen und Blumen sie sich mit Vorliebe gesellt. " [Anm.#316: Ebd., 144-145. ]

So könne man sich ein Archiv über die verschiedensten Pflanzen einrichten, dessen Inhalte man sich verinnerlichen sollte, damit man das so Erfahrene intuitiv anwenden könne. Die Pflanze dürfe nie einzeln und „losgelöst aus ihrem natürlichen Rahmen' [Anm.#317: Ebd., 153.] betrachtet werden, sondern müsse immer eingebettet in die jeweilige Naturszenerie gesehen werden, wodurchsich „die charakteristischen Schönheiten (...) viel deutlicher einprägen " [Anm.#318: Ebd., 153] würden.

Neben den privaten Anlagen beschäftigte sich Schneider ebenso intensiv mit den öffentlichen Grünflächen. Er bezeichnete sie als „Volksanlagen", die in ihrer Gestaltung analogen Grundsätzen wie die privaten Anlagen folgten, d.h. von Architektur dominierte Flächen sollten architektonisch und größere Areale könnten auch landschaftlich gestaltet werden. Daher untergliederte er die Volksanlagen weiter in architektonische „Volksgärten" und in landschaftlich geprägte „Volksparke". Bei der Gestaltung öffentlicher Anlagen glaubte er, unter Umständen mehr Freiheit für die Ausgestaltung zu haben, als es bei den privaten der Fall sei. Trotz der durch die Nutzung bestimmten Anforderungen meinte er, daß hier „der Gartenkünstler am ehesten Gelegenheit habe, sich frei zu geben", denn er sei nicht einem „Besitzer untergeordnet, der in all und jedem verlangen kann, daß seine Persönlichkeit respektiert werde. [Anm.# 319: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig.. 117. ]

Als weiteren Typ unterschied Schneider die Friedhofsanlage, die sowohl landschaftlich als auch architektonisch gestaltet werden könne. Seiner Ansicht nach als gesondert vom Park zu betrachten sei ebenfalls der botanische Garten. Hier tendierte er jedoch ebenfalls zur Umsetzung von Naturszenerien, nur eben auch aus nicht dem Klima angepaßten Gefilden und mit größerem Artenreichtum ausgestattet, als er es im Landschaftspark gutheißen würde. [Anm.#320: Ebd., 5.]

In seiner Wiener Zeit beschäftigte sich Schneider mit der Platzgestaltung an der Ringstraße. Die Grünanlagen und Plätze am Wiener Ring waren, wie in der zweiten Hälfte des 19. Jh. üblich, sowohl im landschaftlichen als auch im geometrischen Stil angelegt. Vor öffentlichen Gebäuden sollten Plätze der Repräsentation dienen und wurden daher zumeist in symmetrischen, stark ornamentalen Formen konzipiert, besetzt mit „Teppichbeeten und edlen Gehölzen“ [Anm.#321: Imke Wollweber 1990: Gartenkunst, Vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus. Osnabrück. 13.]. Zu dieser Formgebung griff man allgemein, wenn die den Platz umgebende Bausubstanz betont werden sollte.

„Die Funktion dieser symmetrischen Flächenorganisation bestand in der Steigerung der herrschaftsausdrückenden Monumentalität von Baukörpern, Denkmälern und Hoheitszeichen auf und um den Platz. " [Anm.#322: Winfried Richard 1984: Vom Naturideal zum Kulturideal. Ideologie und Praxis der Gartenkunst, im deutschen Kaiserreich. Landschafts- und Umweltforschung, Bd. 19, TU Berlin. 177. ]

Wenn die angrenzenden Gebäude nicht betont, sondern kaschiert, sozusagen ausgeblendet werden sollten, wurde das landschaftliche Gestaltungsprinzip angewandt, und der Platz mit einer Miniaturlandschaft versehen. [Anm.#323: Imke Wollweber 1990: Gartenkunst, Vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus. Osnabrück. 13f.] Ein Beispiel hierfür ist der Wiener Rathauspark, der jedoch bereits angelegt worden war, bevor das Rathaus gebaut wurde. Schneider bezeichnete den Parkgrundriß als äußerst verworren. [Anm.#324: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 131. Er begrüßte jedoch die reichhaltige Gehölzverwendung: „Und was steht nicht alles vor dem Rathause in Wien, zwischen Parlament, Burgtheater und Universität! Ich nenne nur als die schönsten Exemplare den Geweihbaum (Gymnocladus), den Götterbaum (Ailanthus), den Gingko, die Paullownie, den Trompetenbaum (Catalpa), die Sophore, den Tulpenbaum (Liriodendron), den Papiermaulbeer (Broussonetia), den gestreiften Ahorn (Acer striatum), die Flügelnuß (Pterocarya) - kurz und gut eine interessante Gesellschaft." (Ebd., 133f.)]

Im Gegensatz dazu ging Schneider von einer funktionalistischen Prämisse aus. Daraus ergaben sich für ihn drei Bedingungen, die in der öffentlichen Anlage zu erfüllen seien:

„Die öffentlichen Anlagen sind der Allgemeinheit' gewidmet. Sie müssen in ihren Grundzügen vor allem den herrschenden Verkehrsverhältnissen Rechnung tragen. Ferner sollen sie als Ganzes genommen der Umgebung sich wirksam und geschickt eingliedern. Und schließlich sollen sie in reicher Ausstattung das Wort wahr machen: Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen. " [Anm.#325: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 117.]

Auf Plätzen in der Stadt hielt Schneider die Anwendung landschaftlicher Formen daher nicht für angebracht, selbst wenn sie ihn von ihrer „inneren Wahrheit" überzeugen würden:

„Allein nicht daraufkommt es bei einem Stadtplatz an, in seiner gärtnerischen Gestaltung natürliche Motive zu zeigen, sondern ihn durch das Mittel der Gartenkunst als organisches Glied der Umgebung in Erscheinung treten zu lassen. Und in wirklich lebendige Beziehung zur Umgebung kann er auf beschränktem Räume zwischen Gebäuden nur durch die architektonische Formensprache treten. Dort, wo wir ihn von den Gebäuden loslösen können, ohne daß unvermittelte Kontraste bleiben, dort läßt sich auch ein selbständiges Landschaftsmotiv künstlerisch naturwahr durchführen. [Anm.#326: Ebd., 144.]

Damit der Stadtplatz seiner Funktion als innerstädtischer Raum gerecht werden könne, forderte Schneider, daß er durch die auf ihn treffenden Straßenzüge gegliedert werden solle, um so einen reibungslosen Verkehr zu gewährleisten. [Anm.#327: Ebd., 32.] Die Hauptwege über den Platz sollten also unbedingt den Verkehrsverhältnissen angepaßt werden und nicht derart konzipiert sein, daß sich die Verkehrsströme über Umwege und über falsch dimensionierte Wege der Gestaltungsidee anpassen müßten, wie es bei den meisten Schmuckplätzen der Fall sei. Dies galt für Schneider für alle kleineren, architektonisch gestalteten Grünanlagen im städtischen Bereich, die er unter dem Begriff „Volksgarten" zusammenfaßte:

„Ihm (dem Volksgarten, Anm.) werden also insbesondere die rings von Architektur umschlossenen Stadtplätze einzureihen sein. Sie spielen im Stadtbild von heute eine recht bedeutende Rolle. Ihre gleichmäßige Verteilung über alle Stadtviertel wird aus Gründen der öffentlichen Hygiene als notwendig anerkannt. " [Anm.#328: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 118.]

Das Skelett, an dem sich die weitere Gestaltung festmachen sollte, bildeten nach Schneider die Wege:

„In der öffentlichen Anlage sind meist die Wege das Gegebene. Hier heißt es dann, die sonstige Ausgestaltung derart anzupassen, daß eine Harmonie doch zustande kommt. "[Anm.#329: Ebd., 117.]

Die öffentliche Anlage müsse sich außerdem an der umgebenden Architektur orientieren:

„Die öffentliche Anlage stellt sich oft genug als Teil des Stadtbildes dar. Sie ist in mehr als einer Beziehung berufen, die umgebende Architektur in ihrer Wirkung zu steigern, oder deren Unwert möglichst geschickt zu verhüllen. Aber auch zwischen den einzelnen Gliedern der Anlage sollen organische Beziehungen herrschen.

Da diese Teile für den Beobachter jedoch in erster Linie als Einzelbilder wirken, so muß ihre Ausgestaltung eine tunlichst wechselreiche sein. Es wäre ebenso verkehrt, den Effekt der Anlage auf einen oder wenige Standpunkte zuzuschneiden, wie Raumbild an Raumbild zu reihen, ohne die Gesamtidee, der jedes Detail sich ordnet, anzudeuten. " [Anm.#330: Ebd., 118. ]

Nicht immer wird es nötig oder wünschenswert sein, Stadtplätze mit Gartenanlagen auszugestalten. Oft werden wir ihre Ausgestaltung ganz der Architektur überlassen müssen. Das gilt besonders von kleinen Plätzen, auf denen man das pflanzliche Material gegenüber der Architektur gar nicht zur Geltung bringen kann. " [Anm.#331: Ebd., 118.]

Ob ein Platz mit Pflanzen gestaltet werden solle, hing für Schneider zunächst von den speziellen, dort herrschenden Verhältnissen ab. Seien die Wuchsbedingungen schlecht und auch nicht zu verbessern, schlug er vor, besser ganz auf die Verwendung von Gewächsen zu verzichten:

„Ist Klima und Boden (der sich allerdings fast immer verbessern ließe) ungünstig und dem Platz durch die Gebäude die Sonne stark entzogen, so würde auch bei relativ großer Bodenfläche die Gartengestaltung versagen, während rein architektonische Momente zur besten Wirkung gelangen werden. Hinwiederum wird in sonnig warmer Lage bei gutem Untergrund auch auf engem Räume zwischen mäßig hohen Gebäuden mit wenig, aber gut gewähltem pflanzlichen Material Befriedigendes sich erreichen lassen. " [Anm.#332: Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 119.]

Um seine Ideen zu veranschaulichen, stellte Camillo Schneider bestehende Anlagen vor, die er entweder als Vorbild auffaßte oder gnadenlos kritisierte, und seinerseits Gestaltungsvorschläge anbrachte. In dieser Art und Weise behandelte er die Plätze der Wiener Ringstraße:

„Besonders der Teil von den Hofmuseen bis zur Universität und Votivkirche wird von mächtigen, im einzelnen zum Teil hervorragenden Bauwerken begleitet, zwischen die große Plätze sich einschieben. " [Anm.#333: Ebd., 120.86]

Die meisten dieser Freiflächen mißfielen ihm in der Art ihrer Gestaltung, da sie ganz nach historistischem Vorbild mit verschnörkelten Beeten und geschwungenen Wegen aufwarteten. Besonders ausführlich widmete sich Schneider dem vor der Votivkirche gelegenen Platz in der Form eines gleichschenkligen Dreiecks. Über das mißlungene Zusammenspiel der einzelnen Baukörper rund um den relativ großen Platz zitierte Camillo Schneider Sitte aus dessen Werk „Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen" [Anm.#334: C. Sitte 1889: Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundlagen. Wien.] Demnach herrsche am Platz eine große Stilvielfalt, angefangen bei der gotischen Votivkirche, deren Wirkung völlig untergehe und durch die Größe des Platzes klein wirke, und der im Rennaissancestil erbauten Universität bis hin zu den Mietshäusern, die den unterschiedlichsten Stilen nacheifern würden.



Abb. 23: Fig. l zeigt den Platz vor der Votivkirche an der Wiener Ringstraße, wie Schneider ihn kannte. Fig. 2 stellt Schneiders Modifizierung des zentralen Platzsegments dar. [Anm.#335: Planskizzen aus Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 120, 123. ]

Als wichtige Regeln zur Platzgestaltung, die Camillo Schneider von Sitte übernahm, nannte Camillo Schneider, daß Gebäude nicht isoliert stehen sollten und daß die Dimensionen der Freiflächen denen der Bauten angepaßt sein müßten:

„Ist der Platz zu klein, so wird der Beschauer zu sehr an das Gebäude herangedrängt und gewinnt nirgends die rechte Übersicht. Schlimmer aber ist es, wenn die freie Fläche sich zu weit ausdehnt. Das Gebäude schrumpft förmlich zusammen. " [Anm.#336: Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. ]

Um die Kirche besser zur Wirkung kommen zu lassen, sah Schneider zwar die Möglichkeit in einer verkleinernden Neugliederung des Platzes, wie Sitte sie vorschlug:

„Er (Sitte) denkt sich vor der Hauptachse der Kirche ein in der Länge 104 m, in der Breite 75 m messendes Atrium, dem die Aufgabe zufällt, die Hauptfassade zur Geltung zu bringen und mittelst der Bebauung seiner Längsseiten die unpassende Umgebung unschädlich zu machen. " [Anm.#337: Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. ]

Da Schneider jedoch große Plätze in großen Städten nicht missen mochte, schlug er in diesem Fall eine Neukonzeption innerhalb der gegebenen Platzdimensionen vor, wobei er das Hauptaugenmerk auf eine plausible Durchwegung legte. Die folgende Textpassage über die hypothetische Umgestaltung des Platzes beinhaltet eine der wenigen konkreten Planungsbeschreibungen Schneiders, die zusammen mit dem Grundriß ein Bild von der Umsetzung seiner Gestaltungsideen vermittelt:

„Sicherlich ist es erste Bedingung, einen wirklichen, aus dem Straßengewirre losgelösten Platz zu schaffen. Die gesamte Fläche vor der Kirche, die heute von sogenannten Anlagen überzogen wird, ist dazu zu groß. Die Spitze des Dreiecks (am Ring) wird in der heutigen Gestaltung sowieso durch eine breiten Fahrdamm (11 in Fig. 1) abgeschnitten. Sie denke ich in meinem Plane ganz getrennt zu lassen. Für den eigentlichen Platz bliebe also ein Trapez, dessen parallele Seiten der Kirchenfront gemäß laufen. Diesen Raum gilt es vom Straßengetriebe abzuschließen, ohne jedoch einen bequemen Durchgangsverkehr für Fußgänger nach allen Richtungen unmöglich zu machen.

Es könnte dies meiner Empfindung nach etwa wie folgt geschehen, wobei ich in Wort und Grundriß (Fig. 2) nur das Wesentliche andeuten will: Der Platz wird mit einer zirka zwei Meter hohen einfachen, aber in ihrer Form wirksamen Mauer umrahmt. Vor dem Hauptportal der Kirche ist diese etwa in der Breite der jetzt vorhanden Treppe (l in Fig.l) unterbrochen. Weiter zwei Eingänge sind bei 2 und 3 frei zu halten. Am entgegengesetzten Ende (der Ringseite) bliebe die Mitte geschlossen, hier wären nur an beiden Längsseiten, nahe, aber nicht direkt an den Ecken, zwei breite Pforten (4 und 5) zu öffnen. Diese Eingänge würden genügen, um ein schnelles Kreuzen des Platzes zu gestatten. Dessen innere Gestaltung ist in der Planskizze Fig. 2 angedeutet, ich denke mir ein Mittelstück von etwa ovaler Form (6), dessen spitzeres Ende der Ringseite zuliegt und dessen Längsachse mit der der Kirche zusammenfällt. Durch die Zugangswege ergeben sich im übrigen fünf Randstücke. Soweit die umgebende Mauer reicht, wird an ihrer Innenseite eine Reihe hoher Bäume gepflanzt, deren Kronen über die Mauer hinaus diese gleichsam fortsetzen. Wie weit diese auch auf der Kirchenseite gehen dürfen, wäre auszuproben. Vielleicht müßte man zwischen ihnen, wie auf Fig. 2, eine größere Lücke lassen, als der Haupteingang breit ist. Weiter nach innen sind den Bäumen entsprechend niedere Gehölze vorzupflanzen, auf deren Auswahl im einzelnen die größte Sorgfalt zu legen wäre. Wie denn jeder Pflanzung eine durchgreifende Bodenbehandlung vorhergehen müßte, damit man in dieser Hinsicht die Garantie erhält, daß die Pflanzen wachsen. In der Auswahl der Arten wären die Erfahrungen, die hier in Wien mit den verschiedenen Gehölzen seit langem gemacht wurden, zu berücksichtigen. Denn nur dann kann die Idee wirkungsvoll verkörpert werden, wenn mit dem allerbesten, für die Örtlichkeit geeigneten Material gearbeitet wird! So erhalten wir im Inneren einen dichten Abschluß gegen die Umgebung, nicht als Gehölzmauer, sondern als an der Innengrenze sich mählich auflösende, fein komponierte Randpflanzung, in deren Rasenfuß zahllose blühende Stauden (angedeutet durch die Punkte bei 13) auslau-fen. Diese Vorpflanzung von Stauden würde ein ungemein reiches Leben in die Anlage bringen. Die Mittelpartie könnte bei 7 eine großzügig gestaltete Brunnenanlage schmücken, während sie sonst durch regelmäßige Blumenbeete (15) belebt oder wie die Seitenteile mit Festons zwischen niedrigen Kronenbäumchen (14) umsponnen, jedenfalls einheitlich und wirksam ausgeschmückt würde. Zahlreiche Ruhebänke (besonders auf den Plätzen 8-12) dürfen nicht fehlen, und im einzelnen ließe sich noch vielerlei tun, ohne den Platz-wie es jetzt (vgl. Fig. 1) geschehen-in sinnloser Weise zu zerstückeln. Im Prinzip sage ich: biete wenig, aber das Wenige gut. Jede einzelne Pflanze sei gewählt und so gestellt, daß sie ihren Zweck erfüllt, d. h. dem Ganzen dient und sich selbst in bester Weise repräsentiert. Auf dem Plan wirkt die von mir skizzierte Anlage sehr einfach, bei weitem nicht so ornamental, wie die jetzige. Aber ich denke, sie würde in der Natur einen ,Raum' gestalten, der genügend dem Lärm der Straße entrückt ist, um die Menschen zum Verweilen einzuladen. " [Anm.#338: Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 123f.]

Auf die „abgeschnittene Ecke an der Ringseite" (Nr. 8 auf Fig. 1) wollte Camillo Schneider ein Monument oder, praktischen Gesichtspunkten folgend, eine Straßenbahnwartehalle stellen.

„Nur so läßt sich indes ein wirklich abgeschlossenes Platzinneres schaffen. Die Pflanzung allein genügt nicht, sie wehrt auch Wind und Staub in nicht so hohem Grade ab. Daß nicht in jedem Falle eine Mauer nötig ist, gebe ich gern zu. " [Anm.#339: Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 126. ]

Mit „Volkspark" definierte Schneider schließlich die größere, landschaftlich gestaltete, öffentliche Anlage. In diesem Terrain, befand er, sei die Wegeführung freier, und die Bedingungen entsprächen weitestgehend denen im Privatpark. Doch erschwere die größere Anzahl der notwendigen Wegeverbindungen und die größere Breite der Wege in der öffentlichen Anlage im Vergleich zur privaten die Gestaltung.

Eine besonders starke Abneigung hegte Schneider gegenüber Teppichbeeten. Ein Kritikpunkt gegen Teppichbeete lag für Schneider vor allem darin, daß sie ohne Bezug zur Umgebung in die Anlage gesetzt wurden. Außerdem sah Schneider den Reiz und die natürliche Schönheit der Pflanze in der gedrängten Pflanzung von Ornamenten verlorengehen.

In die althergebrachte Gartengestaltung hielt zu Schneiders Erschrecken teilweise die äußere Form des Jugendstils Einzug. So gab es Ansätze zu „moderner" Teppichbeetgestaltung, die als Pflanzmuster die floralen Ornamente des Jugendstils übernahmen. Für ihn als Gegner von Teppichbeeten konnte auch nicht eine neue Ornamentik, wie sie z.B. in „Möllers deutscher Gärtner-Zeitung" in einem Artikel von P. Siesmayer [Anm.#340: s. P. Siesmayer 1901: Der moderne Stil und seine Anwendung bei Teppichbeeten, Möllers deutsche Gärtner-Zeitung, Nr. 21, 22. 245ff.] propagiert wurde, dieses Pflanzkonzept retten:

„Manche Fachmänner wollen allerdings auch den Leuten zeigen, daß sie mit der Zeit fortgeschritten sind und die ,moderne Kunst' verstehen. Leider scheinen sie diesen Begriff mit dem Familienblatt, das sich moderne Kunst nennt, zu verwechseln. Sonst könnten sie nicht glauben, daß man im Sinne der Sezession arbeitet, wenn man einige moderne Linienornamente den Blumenbeeten zugrunde legt.[Anm.#341: Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 147.]

Siesmayer begründete die Verwendung der Jugendstilornamente als Grundmuster für Beetbepflanzungen damit, daß viele der Motive auf Pflanzenformen beruhen. Camillo Schneider lehnte dessen Argumentation als unlogisch ab:

„Die Logik Siesmayers begreife, wer kann. Also weil ein Eckmann oder Tiffanyfiir ein Tapetenmuster oder für ein Glas sich pflanzlicher Motive bedient, sind derartige Ornamente auch für Beete zulässig, deren Form doch dazu beitragen soll, die Pflanze als solche in ihrer Eigenart zu steigern. (...) Aber wird man die Wirkung der Tulpe z.B. erhöhen, daß man sie auf Beete in Form von stilisierten Tulpen pflanzt? (...) Es hieße in die Geistlosigkeit holländischen Gartenstils zurücksinken, wollten wir im Ernst derartige Beetgrundrisse a la Siesmayer für ,moderne Kunst' ausgeben. Erstrebt diese doch in Wirklichkeit gerade das entgegengesetzte Ziel: künstlerische Naturwahrheit und nicht gekünstelte Schablone. Fort mit solchen Teppichbeeten!" [Anm.#342: C. Schneider 1904: Deutsche Gartengestaltung und Kunst. Leipzig. 148f.]

Auch eine Anzeige in der „Gartenkunst" vom 1. Juni 1904 springt ihm diesbezüglich ins Auge:

„Hier ist die preisgekrönte Dekoration einer bekannten Berliner Landschaftsgärtnerei abgebildet, die auf der Frühjahrsausstellung dieses Jahres prangte. Die Unterschrift des Bildes besagt ausdrücklich, daß die Darstellung der ,modernen Kunst' Rechnung tragen soll. Die Leser mögen sich einmal das abgedroschene Arrangement ansehen. Es rahmt eine Jünglingsstatue, die die Hände emporhebt und, wie ein Freund sich treffend äußerte, mit einer Gebärde der Verzweiflung auszurufen scheint: es ist himmelschreiend!" [Anm.#343: Ebd., 147.]

Der „Ungeschmack", „der Äußerlichkeiten der sezessionistischen Kunst zu Geschmacklosigkeiten, wie den sog. Jugendstil, ausbildete", herrschte Schneiders Ansicht nach in dieser Art von Gartengestaltung. [Anm.#344: Ebd., 147.90 Camillo Schneider]

Schneider beschränkte sich bei seinen Ausführungen auf die Gestaltung der einzelnen Grünflächentypen. Dagegen fehlt in seinen Betrachtungen der Aspekt der Stadtplanung völlig. Seine Kritik bezog sich auf Stilrichtungen oder auf einzelne konkrete Gestaltungsfragen (vgl. seine Ansichten zum Wiener Ring).

[Kapitel 12]